CMD – Die Craniomandibuläre Dysfunktion

Kiefergelenkserkrankungen als Ursache für Fehlstellungen, Tinnitus, Migräne und Co.

Der menschliche Körper ist ein hochkomplexes Gebilde. Nicht umsonst besagt die Philosophie der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), dass alles mit allem zusammenhängt. Aber gleich mit Kopfschmerzen in die Zahnarztpraxis? Das passiert tatsächlich gar nicht so selten, denn eine Dysbalance zwischen Zähnen und Kieferstellung kann im Körper zahlreiche Folgebeschwerden auslösen.

Das Perfide – die Ursache für die Beschwerden sind oft kaum zu vermitteln, bis ein Gang in die Zahnarztpraxis Gewissheit schafft. Wir erklären, was hinter der sogenannten Craniomandibulären Dysfunktion (CMD) steckt, welche Beschwerden tatsächlich auf den Kiefer zurückgehen und was Sie dagegen unternehmen können.

Kiefergelenkserkrankungen als Ursache für Fehlstellungen, Tinnitus, Migräne und Co.

Craniomandibuläre Dysfunktion – Was ist das eigentlich?

Bei der Craniomandibulären Dysfunktion handelt es sich um eine Funktionsstörung des Kausystems. Das Kausystem besteht im engeren Sinne aus der Kaumuskulatur, den Kiefergelenken sowie den Zähnen. Zu einer Funktionsstörung kommt es vor allem dann, wenn das Gefüge zwischen Kiefer, Kiefergelenk und Zähnen nicht harmonisch ist.

Das ist etwa dann der Fall, wenn Fehlstellungen von Zähnen und Kiefer keinen harmonischen Zusammenbiss der Zähne ermöglichen. Ursächlich können neben Zahnfehlstellungen und knöchernen Besonderheiten des Kiefers auch muskuläre Ursachen sein. So kann etwa auch eine verhärtete oder verspannte Kiefermuskulatur die Statik des Kiefers und die Gelenkstellung verändern.

Bereits minimale Dysbalancen können sich auf andere Bereiche des Körpers auswirken. Der Hauptgrund dafür, dass Beschwerden auch an anderen Körperstellen auftreten können, ist das weitverzweigte Nervengeflecht des Körpers. So etwa sind die Kiefergelenke über Nervenstränge mit Nerven im Kopfbereich und sogar im Becken verbunden.

Schon gewusst?

Was in eine Richtung funktioniert, funktioniert auch in der entgegengesetzten Richtung. Wenn also eine Fehlstellung des Kiefergelenks durch eine „absteigende Belastung“ zu Schmerzen in der Lendenwirbelsäule führen kann, kann eine Fehlstellung der Wirbelsäule über die „aufsteigende Belastung“ auch zu Beschwerden im Kiefer führen.

CMD könnte die Schmerzursache von Millionen sein

Sie denken, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes die Hauptleiden in der Bevölkerung sind? Dann liegen Sie leider daneben. Wenn wir einmal das ganz große Bild zeichnen, sind ungelöste Schmerzprobleme die wahre Volkskrankheit. Besonders eindrucksvoll belegt dies eine Erhebung der Krankenkassen. Demnach leiden Millionen Bundesbürger:innen unter ungeklärten Schmerzproblemen, die auch auf Dysbalancen im Kieferbereich zurückgehen können:

  • 28,7 Millionen Bürger:innen leiden an Rücken-, Nacken- und Schulterschmerzen
  • 18,9 Millionen Bürger:innen knirschen nachts mehr oder minder stark mit den Zähne
  • 8,3 Millionen Menschen in Deutschland haben Migräne
  • 4,7 Millionen Bürger:innen klagen über regelmäßigen Spannungskopfschmerz
  • 3,7 Millionen Menschen im Land haben einen diagnostizierten Tinnitus (oft ohne klare Ursache)
  • 3,2 Millionen Bürger:innen klagen über häufigen Schwindel
  • 230.000 Betroffene leiden unter schweren Schmerzattacken im Gesichtsbereich

Diese Zahlen sind beeindruckend. Nichtsdestotrotz gehen bei weitem nicht alle Fälle auf eine Kieferproblematik wie CMD zurück. Es ist jedoch anzunehmen, dass ein nicht unerheblicher Teil der unklaren Diagnosen aus den genannten Bereichen auf eben eine solche zurückgeht.

Welche sind die primären Beschwerden einer Craniomandibulären Dysfunktion?

Grundsätzlich lässt sich zwischen den primären und sekundären Symptomen unterscheiden. Die eindeutigsten und damit primären Anzeichen für eine Kieferproblematik betreffen oft Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Kopf- und Halsbereich. Typisch sind mehr oder weniger starke Kieferschmerzen, die sowohl beim Kauen als auch in Ruhe auftreten können. Auch ist es möglich, dass sich die Schmerzen entweder nur einseitig, beidseitig oder isoliert im Ober- oder Unterkiefer zeigen. Weitere typische Primärsymptome sind unter anderem:

  • Zahnschmerzen
  • Druckgefühl im Kiefer
  • Berührungs- und Schmerzempfindlichkeit der Kaumuskulatur
  • Der Kiefer fühlt sich verspannt an
  • Schmerzen im Kiefergelenk beim Kauen harter Speisen
  • Knacken im Kiefergelenk
  • Überbeweglichkeit des Kiefers (führt oft zu Kiefersperre)
  • Fehlbiss (Überbiss, Unterbiss, Kreuzbiss)
  • Zähneknirschen (Bruxismus)
  • Morgensteifigkeit des Kiefers

Musculus masseter

Der Kaumuskel (lateinisch: Musculus masseter) ist gemessen an seiner Größe der stärkste Muskel im menschlichen Körper. Er sorgt dafür, dass die Zähne einen Druck von bis zu 100 kg pro Quadratzentimeter aufbauen können, um die Nahrung so zuverlässig zu zerkleinern.

Bei einem verspannten Kiefer kann der Muskel den Druck auf bis zu 480 kg/cm² erhöhen. Viele Kauprobleme oder Zahnschmerzen hängen mit einem verspannten Kaumuskel zusammen.

Wie Sie sehen, ist bereits die Bandbreite der primären Symptome groß. Noch umfangreicher wird das Spektrum der sekundären Symptome, die an völlig anderen Bereichen des Körpers auftreten. Hier kommt jedoch die erschwerende Tatsache hinzu, dass Mediziner:innen oftmals keine Ursache für die Beschwerden finden können, da die betroffene Körperregion keine diagnostisch nachweisliche Problematik aufweist.

Häufig ist es sogar der Fall, dass gar keine Primärsymptome auftreten, sondern lediglich die Begleiterscheinungen. Wer kommt hier schon auf die Idee, dass Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie) durch eine Dysharmonie des Kiefers hervorgerufen werden, wenn dort nichts wehtut? Zu diesen heimtückischen Begleitsymptomen gehören unter anderem:

  • Ohrenschmerzen
  • Störungen der Stimme
  • Schluckbeschwerden (Dysphagie)
  • Schwindelgefühl
  • Tinnitus
  • Nacken- und Rückenverspannungen
  • Kopfschmerzen (häufig in der Schläfenregion)
  • Migräne
  • Druck hinter den Augen und in den Nebenhöhlen
  • Depressionen
  • Angststörungen
  • emotionaler Stress
  • Muskelschmerzen
  • Beckenschmerzen
  • Beckenfehlstellung (infolge falscher neuronaler Ansteuerung)

Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei CMD sind deutlich

Schätzungen zufolge leiden hierzulande 15 Prozent aller Erwachsenen unter Beschwerden, die auf CMD zurückgehen und als behandlungsbedürftig gelten. Interessanterweise gibt es dabei laut einer Erhebung der Gesellschaft für Zahngesundheit, Funktion und Ästhetik (GZFA) deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was die Beschwerden angeht.

Datenquelle zur Grafik

Besonders interessant ist die Aufschlüsselung der Beschwerden im Vergleich von Männern und Frauen. Zunächst fällt auf, dass statistisch betrachtet nur rund ein Prozent aller Männer und Frauen ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Zähnen und Kiefergelenk haben. Alle anderen Menschen haben hier laut den Daten der GZFA eine Dysbalance. 58,4 Prozent aller männlichen Studienteilnehmer wiesen typische Symptome wie Zahnfehlstellungen oder abradierte Zähne auf, ohne aber Beschwerden zu haben. Nur bei 40,6 Prozent aller Männer aus der Stichprobe ging die Dysbalance mit Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schluckbeschwerden oder Migräne einher.

Bei Frauen dagegen sieht das Bild gänzlich anders aus. Hier waren nur 19,8 Prozent der Studienteilnehmerinnen trotz Symptomen wie Zahnfehlstellungen oder Zähneknirschen beschwerdefrei. Der weit überwiegende Teil von 79,2 Prozent klagte über typische Beschwerden, die dem CMD zugeordnet werden können. Die mögliche Ursache für diesen Eklatanten Unterschied ist bisher nicht geklärt.

Wie wird die Craniomandibuläre Dysfunktion behandelt?

CMD ist kein einfaches Krankheitsbild, das sich mit einer spezifischen Therapie behandeln lässt. Um die Probleme in den Griff zu bekommen ist es erst einmal notwendig, die Erkrankung überhaupt zu erkennen. Bei unklaren Beschwerden wie den bereits geschilderten Begleitsymptomen, kann es sich lohnen, eine zahnärztliche oder kieferorthopädische Praxis aufzusuchen.

Dort kann anhand einer Untersuchung der Zahnstellung sowie der Kieferstellung festgestellt werden, ob die CMD ein potenzieller Ansatzpunkt ist. Abgesehen davon ist eine ganzheitliche Therapie der gebräuchlichste Ansatz. Dieser zielt einerseits auf die Symptombehandlung am Ort der auftretenden Symptome ab. Andererseits richtet sich die Therapie auf das ursächliche Problem im Bereich des Kiefers.

Kiefergelenkvermessung

Die Kiefergelenkbahnanalyse oder Kiefergelenksvermessung wird eingesetzt, wenn es darum geht, die Kiefer harmonisch aufeinander abzustimmen. Dabei führt der Patient Vorwärts- und Seitwärtsbewegungen sowie das Öffnen und Schließen der Mundhöhle mit dem Kiefer aus.

Ein Löffel im Unterkiefer, der mit einem Computer verbunden ist, misst diese Bewegungen und liefert so fundierte Daten über die Fehlstellung, die sich im Anschluss gezielt behandeln lässt. Die Kosten für die Vermessung belaufen sich auf etwa 1.200 Euro.

Zahnärztliche und kieferorthopädische Behandlung

Die wichtigste Therapiemaßnahme beim CMD-Beschwerdebild ist die Aufbissschiene. Diese Schiene wird in der zahnärztlichen Praxis exakt an die Zähne des Ober- und Unterkiefers angepasst. So wird das Zähneknirschen samt den entsprechenden Verspannungen verhindert. Darüber hinaus schützen die Schienen die Zahnsubstanz vor Abrieb. Gleichzeitig hilft die Aufbissschiene dabei, die Kiefermuskeln zu entspannen und die Kiefergelenke wieder richtig auszurichten.

Das wiederum beeinflusst auch die beteiligten Nerven positiv. Um Zahnfehlstellungen auszugleichen, kommen auch weitere Maßnahmen wie das Schließen von Zahnlücken, die Rekonstruktion einzelner Zähne sowie das Einschleifen zum Einsatz. Wenn die Kiefergelenke etwa bereits durch entzündliche Veränderungen betroffen sind, können auch diese zum Beispiel mit Hilfe einer Kiefergelenkspülung behandelt werden. In einigen Fällen ist auch eine Operation notwendig.

Weitere Behandlungsoptionen bei der Craniomandibulären Dysfunktion

  • Physiotherapie: Da das gesamte Skelett-, Nerven- und Muskelsystem zusammenhängt, gehört häufig auch die Physiotherapie zum ganzheitlichen Behandlungsansatz. Das betrifft vor allem Übungen zur Lockerung von Muskulatur und Bindegewebe, um Verspannungskaskaden zu lösen und die Durchblutung zu fördern. Auch Ultraschall, Wärmetherapie und Mikrowellen können zum Einsatz kommen.
  • Psychotherapie: Stress kann die Verspannungskaskade noch weiter verstärken oder diese sogar verursachen. Findet sich keine greifbare körperliche Ursache oder ist diese untergeordnet, können Psychotherapeut:innen etwa mit einer Verhaltenstherapie und dem Biofeedback-Verfahren weiterhelfen.
  • Medikamentöse Behandlung: Für die Symptombehandlung kommen in einigen Fällen auch Medikamente zum Einsatz. Die Auswahl hängt von der Art und Intensität der Symptome ab. Das Spektrum reicht von Schmerzmitteln und Entzündungshemmern wie Kortison über muskelentspannende Medikamente bis hin zu Schlafmitteln und sogar Antidepressiva.
  • Einsatz von Botulinumtoxin: Ja, tatsächlich kann zur Behandlung der CMD-Problematik auch Botulinumtoxin (kurz: Botox) zum Einsatz kommen. Das Ziel des Einsatzes des Nervengiftes ist es, die Kaumuskulatur abzuschwächen, sodass Betroffene wieder normal kauen können. Dazu wird das Botox zielgerichtet in die Kaumuskulatur injiziert.
  • Alternative Heilmethoden: Abgerundet wird das Behandlungsspektrum bei Craniomandibulärer Dysfunktion durch alternative Heilmethoden. Dazu zählen unter anderem Akupressur und Akupunktur.

Botox

Botulinumtoxin, im Volksmund unter dem Markennamen Botox bekannt, ist das giftigste aller bekannten Gifte. Es lässt im Körper die Muskeln an der Stelle erschlaffen, wo das Nervengift injiziert wurde. Dabei werden nur die Nerven ausgeschaltet, die die entsprechenden Muskeln oder Drüsen steuern.

Medizinisch verabreichtes Botox wirkt nicht dauerhaft, sondern lässt nach einigen Monaten oder Jahren nach, weil sich neue Nervenenden bilden.

Was kann ich bei CMD selbst tun, um Beschwerden loszuwerden?

Abseits der professionellen therapeutischen Verfahren haben Sie bei einem Verdacht auf eine Craniomandibuläre Dysfunktion auch die Möglichkeit, selbst ergänzend tätig zu werden. Um etwa Verspannungen im gesamten Körper zu lösen, bieten sich entspannende Aktivitäten wie Yoga, autogenes Training oder progressive Muskelentspannung an. Auch häufiger Ausdauersport hilft dabei, die Durchblutung zu verbessern, die Nerven zu aktivieren und Verspannungen zu lösen. Hinzu kommen aktive Entspannungsübungen für die Kiefermuskulatur, die dabei helfen, eine etwaige Fehlstellung zu korrigieren.